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Interview zur Tanzfotografie im «ensuite»-Kulturmagazin

Autorenbild: Giulia Di RomualdoGiulia Di Romualdo

 


«Die Bewegung einzufrieren und endlos zu verlängern, hat etwas Intimes.» 

von Philippe Flück


Giulia Di Romualdo tourte jahrelang als Tänzerin durch Deutschland, bevor sie Tanzfotografin wurde. Im Interview spricht sie über ihre aktuelle Ausstellung in Bern und darüber, wie ihre Tanzerfahrung heute ihre Werke beeinflusst. 

 

Du arbeitest in deiner Fotografie viel mit Tanz. Was fasziniert dich besonders daran?

 

Beim Tanz ist jede Bewegung nur für den Bruchteil einer Sekunde da – bevor sie gleich wieder vorbei ist und von der nächsten abgelöst wird. Mit der Fotografie kann ich diese flüchtigen Augenblicke einfangen und konservieren. 

 

Viele Tänzer:innen trainieren ein Leben lang, um eben diese angestrebte technische wie auch künstlerische Perfektion zu erreichen. Diese festzuhalten, kann einerseits etwas die Magie der Bewegung nehmen, aber andererseits gibt Fotografie dem Tanz auch viel zurück, weil man eben auch mal die Chance hat, diesen perfekten Augenblick wirklich eingehend zu betrachten. 

 

Du fotografierst oft Tänzer:innen im Studio, was eine inszenierte Umgebung ist. Außerdem sind die Bewegungen, wie du sagst, ein Leben lang trainiert und wiederholt worden. Gibt es dennoch einen unplanbaren Moment oder weißt du von Anfang an, wie das Resultat aussehen muss?

 

Ich habe vor dem Shooting eine Idee davon, was ich will, und lasse mich dabei auch von Vorbildern inspirieren. Die Tänzer:innen bringen ebenfalls Ideen mit. Meistens entwickeln wir diese Ideen dann gemeinsam weiter. Beispielsweise beim Titelbild meiner Ausstellung erinnere ich mich noch gut, dass die Tänzerin, Zoë Wiedmer, eine Position mit einem hohen Bein nach vorne machen wollte. Dass die Beine dabei leicht gebeugt sind, der Oberkörper und Kopf zurückfallen sowie die Positionierung der Hände, haben wir gemeinsam entwickelt. Dann liegt es an mir, das Licht richtig zu setzen und schlussendlich den perfekten Augenblick zu treffen. Ich möchte immer die besonderen Stärken der Tänzerin unterstreichen. Oft ergibt sich so auch Unerwartetes. Deswegen würde ich sagen: Es ist immer ein Prozess und nie eine fixe Idee, die exakt so umgesetzt wird. Diese Zusammenarbeit und der Austausch sind auch das, was die Arbeit im Studio für mich ausmacht. 

 

Neben der Fotografie hast du auch eine künstlerische Ausbildung und hast jahrelang als Tänzerin gearbeitet. Welche Rolle spielt diese Erfahrung, wenn du hinter der Kamera stehst?

 

Ich finde, sie spielt eine sehr große Rolle. Ich glaube, dass, egal welchen Sport man fotografiert – Tanz ist für mich sowohl Kunst als auch Sport – es immer von Vorteil ist, diesen Sport selbst gut zu kennen. Im Tanz weiß ich, wie die Ideale der Posen aussehen, kenne die schönen Linien und aus welcher Perspektive ich diese am besten einfangen kann. Ich schaue immer mit dem Auge der Tänzerin wie auch mit dem Auge der Fotografin. 

 

Und bei der Live-Fotografie, spielt es dort auch eine Rolle?

 

Auf jeden Fall. Das ist allerdings eine ganz andere Ausgangslage: Im Studio kannst du die Umgebung kontrollieren, und es gibt die Möglichkeit zur Wiederholung. Bei einer Live-Performance gibt es oft nur eine Chance. Da hilft es mir sehr, dass ich selbst tanze, weil ich, auch wenn es etwas komisch klingen mag, die nächsten Bewegungen etwas vorhersehen kann. Ein banales Beispiel: Ich erkenne schneller, wenn sich die Tänzer:innen beispielsweise auf einen großen Sprung vorbereiten oder sich der Höhepunkt der Choreografie nähert. Es gibt Sprünge, bei denen zum Beispiel die Beine noch in der Luft gewechselt werden müssen. Als Tänzerin weiß ich das und kann die entschiedende Milisekunde abwarten. 

 

Wie kam es zum Rollentausch, von der Tänzerin zur Fotografin?

 

Gute Frage. Erst kürzlich, bei der Vorbereitung meiner aktuellen Ausstellung, ist mir bewusst geworden, dass ich mich schon sehr früh mit Tanzfotografie beschäftigt habe. Bereits als Teenager, als es Instagram und Facebook noch nicht gab, habe ich auf Google nach Tanzfotos gesucht und jene gespeichert, die mir besonders gefallen haben. Als junge Tänzerin waren diese Bilder damals eine große Inspiration. Nach einigen Jahren als berufliche Tänzerin wurde mein Wunsch immer größer, «auf die andere Seite» zu wechseln und die Kamera in die Hand zu nehmen, und so bin ich bei der Fotografie gelandet. 

 

Eigentlich ist es paradox: Beim Tanz sind Bewegung und Musik wichtig, einem Foto fehlen aber genau diese beiden Elemente. Warum funktioniert Fotografie dennoch als Medium für den Tanz?

 

Ich denke, durch das Einfangen eines Moments wird es möglich, die Details zu betrachten und den ganzen Umfang der Bewegung zu sehen. Bei den Bildern, die ich am gelungensten finde, gibt es so vieles zu entdecken. Jede Bewegung ist im Tanz so kurzlebig, eine solche einzufrieren und endlos zu verlängern, hat deshalb auch etwas sehr Intimes und würdigt das jahrelange Training der Tänzer:innen. 

 

Wenn wir uns auf deine Ausstellung im Kunst- und Kulturhaus VISAVIS konzentrieren, was ist das Konzept dahinter?

 

Das VISAVIS ist ein Ort, an dem viele verschiedene Kunstrichtungen zu sehen sind. Eine Fotoausstellung ist jedoch eine Premiere. Meine Ausstellung heißt «spot:on – Perfektion im Augenblick» und genau das ist mein Ziel: den Spot, also das Licht, auf die vielen, für ungeübte Augen oft versteckten, perfekten Augenblicke und Details zu lenken. Die Ausstellung hängt im Zuschauer:innen-Bereich, und so kann der Tanz einem breiten Publikum zugänglicher gemacht werden, was mir besonders gefällt. 

 

Wie geht es nun nach der Ausstellung weiter? 

 

Nachdem wir so viel über Perfektion gesprochen haben, könnte es vielleicht überraschend klingen, aber ich möchte in Zukunft mehr unperfekte Momente zeigen. Ich habe schon Pläne für nächste Arbeiten, die auch experimenteller sein werden und mit einzelnen Körperteilen spielen könnten. Ich möchte mich mehr auf die Beziehung zwischen Tanzenden und der Kamera konzentrieren und erforschen, was mit verschiedenen Winkeln möglich ist. Außerdem entwickelt sich der Tanz natürlich ebenfalls immer weiter, was mich sicher auch beeinflussen wird. 

 

Die Ausstellung «spot:on – Perfektion im Augenblick» ist noch bis Februar 2025 im Kulturhaus VISAVIS zu sehen. Die Werke von Giulia Di Romualdo sind auf Instagram unter @giulia.arts oder auf ihrer Website zu finden: giuliadiromualdo.com


 

Seit 2003 ist ensuite - Zeitschrift zu Kultur & Kunst das grösste nationale und freie, unabhängige PRINT-Kulturmagazin der Schweiz und erscheint monatlich mit einer neuen Ausgabe.

Der Beitrag erschien im Februar 2025 in der 266. Ausgabe


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